2019

Geladener Realisierungswettbewerb
Wohnbebauung Schnieglinger Straße Nürnberg

Stömer.Will.Weidinger Architekten
in Zusammenarbeit mit Ines Klaue und Hans Weidinger


Städtebauliche Überlegungen

Die Maxime des dänischen, weltweit aktiven Stadtplaners Jan Gehl, dass das „menschliche Maß“ die Attraktivität von Stadträumen bestimmt, soll als Richtschnur gelten. Diesem Anspruch kann insbesondere an neuralgischen Verkehrsknoten, deren Lärm- und Staub-Emissionen die Aufenthaltsqualität negativ beeinflussen, kaum Genüge getan werden. Darüber hinaus sollte angesichts zunehmender Hitzewellen aufgrund der aktuellen Klimaveränderung ins Kalkül gezogen werden, wie sich die Aufheizung von Straßenräumen besser eindämmen lässt . Gerade die Kreuzung Nordwestring / Schnieglinger Straße wird noch länger ihre wichtige, wenig reduzierbare Verkehrsdominanz behalten.

 

 

Zukunftsfähige Wohnmodelle an dieser Stelle sollten demnach vorgenannten Störfaktoren entgegenwirken. Nur ein hoher, durchgehender Blockrand, dessen massive Außenwirkung kleinteilige Grünbalkone kleinmaßstäblich aufbrechen, vermag das dahinter liegende Wohngebiet effektiv abzuschirmen. Vorbild zu diesem Denkansatz stellt der „bosco verticale“ in Mailand dar. Lärm und Staub mildernde, halbhohe Bäume oder Büsche sollen nicht nur auf Straßenniveau, sondern ebenfalls in den Obergeschossen dem Straßenraum zugewandte Räume „auf Augenhöhe“ entlasten.

Durch die graduelle Abtreppung der Geschossigkeit von Ost nach West soll ein gleitender Übergang zur benachbarten Wohnbebauung erreicht werden.


Überlegungen zum Nutzungsmix

Um künftige Bauland- Ressourcen zu schonen, sollten bei zukunftsorientierten Wohnprojekten auch Recherchen angestellt werden, wie man „zwei Fliegen mit einer Klappe“ schlagen könnte. Das schräg gegenüber dem Wettbewerbsgebiet liegende Grundstück ist derzeit mit einem nur eingeschossigen Supermarkt belegt, der unseres Erachtens gut in das Wettbewerbsgebiet integriert werden könnte und somit wertvoller Raum für verdichtete Nutzungen freigemacht würde. Dieses Potenzial städtebaulichen Mehrwerts konnte in einschlägigen Referenzobjekten wie zum Beispiel der „Genossenschaft Kalkbreite“ in Zürich durch Überbauung von nutzungsfremden Bauvolumina ausgereizt werden.

 

 

Da sich die erdgeschossigen Flächen an lärmintensiven Verkehrswegen sinnvoll nur mit Gewerbeflächen belegen lassen, lag es nahe, auch in den Binnenraum des Wettbewerbgebietes vorzudringen und auf dem Dach des Marktes einen begrünten Wohnhof zu schaffen, der von den umliegenden Obergeschossen eingerahmt wird.

Damit wird auch die Bauhöhe des „ Lärmschutz-Riegels“ optisch gemindert. Für das Gründach drängt sich eine Nutzung als geschützter Kinderspielbereich auf, der mittels Treppenzugängen vom übrigen Treiben auf dem Gelände „abgehoben“ ist. Der Supermarkt kann darüber hinaus als „In-House-Basar“ das neue und das bestehende Wohnviertel versorgen- ein bereits seit Jahrhunderten erprobtes Modul im Städtebau.

 

 

Der Eingang in direkter Nähe zur Bushaltestelle wird optimal mit einer Bäckerei mit Kaffeeausschank kombiniert. Entlang der vielspurigen Ringstraße reihen sich unter schützenden Arkaden kleine Läden (Friseur, Apotheke o.Ä.). Am nördlichen Einfahrtsbereich in unmittelbarer Nähe zur Einmündung des bestehenden Geh- und Radwegs bietet sich zudem als Ergänzung ein kleines Café mit integriertem Waschsalon als Treffpunkt des Viertels an.


Wohnungsrelevante Überlegungen

Um den Nachteil, an einer stark befahrenen Ringstraße zu wohnen, einigermaßen zu kompensieren, sollen in der „Ringbebauung“ nur Grundrisse in Form von durchgesteckten Wohnungen angeordnet sein. Zum Innenhof orientierte Schlaf- und Wohnräume lassen sich mittels Türfenster großzügig zu Balkonen oder Loggien hin erweitern. Nebenräume orientieren sich in der Regel zu den straßenseitig als Puffer vorgehängten Pflanzbalkonen.

 

 

Generell sollen alle Wohnungen mit Aufzügen angedient werden, so dass alle Geschosse barrierefrei erreicht werden können. Mehrere Gemeinschaftsräume und -flächen sollen für jeden Bewohner gut erreichbar sein und mit einer Doppelnutzung als Waschmaschinen-Räume oder Fahrrad-Werkstätten kombiniert werden. Ein kleiner Pool am Dach, gespeist aus aufbereitetem Regenwasser soll ebenfalls allen Bewohnern offen stehen.

Im lärmgeschützten, rückwärtigen Innenbereich bilden einerseits westorientierte Studentenappartements, die über einen zum Dachhof hin gelegenen Laubengang erschlossen werden, eine kleinteilige, niedriggeschossige „Binnenklammer“. Andererseits fassen Richtung Norden einige Atelier-Maisonetten mit angegliedertem Werkhof das zentrale „Wohnatrium“ ein.

 

 

Jenseits der Wohngasse Richtung Westen folgt eine weitere einhüftige Wohnspange, die ebenfalls über Laubengänge erschlossen wird und zudem über eine Brücke an den Dachhof angebunden ist. Hier befinden sich weitere Studenten-Appartements oder kompakte Maisonetten für junge Familien. Wünschenswert wäre ein bunter Mix aus beiden Typen, die sich dieses Gebäude und dessen Umgriff gemeinschaftsorientiert teilen.

Anschließend daran fächern sich am westlichen Rand des Wohngebiets „schaltbare“ Einzelwohnräume um einen zentralen Lichthof und einen südwärts orientierten Gruppenraum. Hier könnte sich eine Mehrgenerationen-Wohngruppe in Form eines „Clusters“ etablieren.


Überlegungen zur Erschließung

Die Haupterschießung der Tiefgarage soll vom Ring aus über eine je einspurige Ein- und Ausfahrt erfolgen. Die Andienung des Supermarktes kann von dieser Anfahrtsspur mittels zwischengeschaltetem Wendehammer abzweigen, so dass beide Bereiche gut voneinander getrennt sind. Zudem sorgen bauliche Schallabschottungen in Form von Wänden oder Decken für eine Minderung des durch den Ladebetrieb erzeugten Lärms.

 

 

Als Rückgrat des neuen Wohnviertels fungiert eine reichhaltig gegliederte und zum Aufenthalt einladende Wohnstraße. Niedrigschwellige Übergänge, großteils unversiegelte Beläge, Sitzgelegenheiten und Spielnischen sollen einerseits die Passanten zum Verweilen einladen und andererseits die ebenerdig wohnenden Studenten dazu anregen, ihr Wohnumfeld mit anderen zu teilen: „participation at its best.“

Primär soll diese Wohnstraße an den schon bestehenden, nördlich gelegenen Geh- und Fahrradweg anbinden und eine fußläufig attraktive Verbindung von der bestehenden Bebauung zur Bushaltestelle erzeugen. Sekundär können diese „informellen“ Fahrflächen auch als Rettungsanfahrt für die Feuerwehr dienen.


Überlegungen zur Nachhaltigkeit

Intelligente, Ressourcen schonende Systeme und Baustoffe werden das Bauen der Zukunft bestimmen. Gemäß den Anforderungen der Initiative C2C – from cradle to crave, sollen die verwendeten Baustoffe in ein Kreislaufsystem eingebunden sein: sie sollen einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck bei der Herstellung erzeugen und eine möglichst rückstandsfreie Wiederverwertung ermöglichen.

 

 

So soll das konstruktive Skelett des hohen Gebäudes wegen einfacheren Brandschutzdetails aus Stahlbeton erstellt werden , während die Ausfachung aus recycelten Ziegeln und oder aus Holzkomposit- Wänden bestehen kann. Die niedrigen Gebäude sollen in Holz-Massivbauweise gefertigt werden. Alle Dachflächen sollen als mindestens extensiv begrünte Flachdächer ausgebildet werden, um effektive Retentionsflächen bei den in Zukunft zu erwartenden Extrem-Niederschlägen zu generieren.

 

 

Die Haustechnik des Gebäudes soll auf eine möglichst hohe „Autarkie“ des Wohngebiets abzielen. Deshalb soll ein möglichst breit gefächertes Spektrum zum Einsatz kommen: Nutzung von Geothermie und Abwärme des Supermarktes zur Heizwärme- und Brauchwassererzeugung. Darüber hinaus wird über Photovoltaikzellen Strom ins Netz eingespeist werden, unterstützt von Mikro-Windturbinen.